Als ich kurz vor 12 in der Hotellobby stehe, fällt mir ein, dass ich wieder vergessen habe mich aufzuwärmen und zu dehnen. Ich hole das in einer Nische des Empfangsbereichs nach und entdecke dabei einen Wasserspender, der sogar heißes Wasser bietet. Thermoskanne gefüllt und Schuhputzgerät gesehen, auch das kann ich gerade gebrauchen. Wenn man unterwegs ist, darf man kein allzu großes Schamgefühl haben und kommt deutlich besser voran, wenn man mitnimmt, was einem gerade geboten wird.
Als ich losfahren möchte, fällt mir auf, dass ich eine Schraube, die Gepäckträgerstrebe und Schutzblech hält, verloren habe. Mitten auf dem Gehweg lade ich die Taschen wieder ab und packe das Werkzeug aus. Ich habe eine kleine Ersatzschraube vom Abstandshalter, eigentlich eine Holz- oder Plastikschraube, aber sie passt so einigermaßen. Zur Sicherheit fixiere ich alles mit zwei Kabelbindern.
Als ich endlich losfahre, ist es 13 Uhr. Um auf die Landstraße zu gelangen, fahre ich ein kleines Stück auf dem Standstreifen einer Autobahn.
Es geht durch eine leicht hüglige Landschaft. Es ist sonnig und warm, einmal riecht es kurzzeitig schon nach Sommer. Die Grillen zirpen und gelegentlich ist das Quaken von Fröschen zu hören. Ein Pferd steht auf einer Wiese, ohne Leine oder Zaun drumrum.
Die Dörfer, die ich passiere, sehen genau so aus, wie man Bulgarien von Bildern her kennt: flache Häuser, große Fenster, rote Schindeln, eine Veranda mit Weinstöcken.
Auf den Straßen sind erstaunlich viele Lada zu sehen und immer wieder gibt es Straßenverkäufe, die selbst hergestellte Produkte im Angebot haben.
Ab und zu hupt und/oder grüßt mich jemand, aber die meiste Zeit fahre ich ohne nennenswerte Abwechslung dahin. Es ist schön hier zu fahren, aber irgendwie auch langweilig. Aller 10-15 Kilometer trinke und esse ich Obst, Gemüse und dunkle Schokolade um den Blutzuckerspiegel möglichst hoch zu halten. Ich versuche in hoher Trittfrequenz zu fahren, um die Muskeln zu schonen.
An einer Wasserstelle sehe ich, wie jemand große Wasserflaschen befüllt.
Noch jemand anderes kommt und geht nach kurzem Nachdenken wieder, ohne die mitgebrachten Flaschen mit Wasser auszustatten. Ist das Wasser in meiner Flasche jetzt trinkbar oder nicht? Als ich einen Bach passiere, der milchfarben leuchtet und bestialisch stinkt, beschließe ich auf Nummer sicher zu gehen und das kühle Wasser nur zum Händewaschen zu verwenden.
Als ich die Stadtgrenze von Plowdiw erreiche, sind es nur noch 5 km bis ins Zentrum. Das ist ja eine kleine Stadt.
Das erste was mir in Plowdiw auffällt, sind die nagelneuen Rad- und Gehwege samt Mobiliar, frisch gepflanzte Bäume und hervorragende Beschilderungen.
Mein kleines Zimmer ist einfach, aber sauber und es wurde an alles gedacht.
Die Innenstadt ist kontrastreich. Kleine Häuser stehen neben Punkthochhäusern neben antiken Grabungsstellen. Liebevoll gepflegte Blumentöpfe neben vollgemüllten Flächen. Bei einem kleinen Spaziergang entdecke ich weit oben eine Kirche.
Oben angekommen genieße ich bei milden Temperaturen die Aussicht auf die erleuchtete Stadt.
Ich telefoniere lange mit meiner Schwester, EU-Roaming olé. Sie rät mir, beim Fahren nach einem Schrauben-Opi Ausschau zu halten, diese Sammler von allerlei Kleinteilen sollte es doch überall geben.
In den nächsten beiden Tagen möchte ich bis nach Sofia fahren, da der letzte Freitag im Monat naht und ich bereits im Kontakt mit jemanden von der Critical Mass und jemand von warmshowers vor Ort bin. Die Navigation sagt schwere Strecke mit Steigungen und teilweise Holperstraßen voraus und ich hoffe, dass ich heute morgen beim nochmaligen Festziehen wirklich alle Schrauben erwischt habe.